Artikel aus STERN, 2000
Kommunikation und Publizistik in der Fetisch-Szene
„Wir machen uns die Zeitschriften,
die wir lesen möchten!“
Von Marquis-Chefredakteur Peter W. Czernich
Wir Fetischisten suchen ständig neue Anregungen und Kicks, immer bessere Umsetzungen unserer Fantasien. Was wir in Sex-Shops und Zeitschriftenläden vorfinden, erscheint oft verbesserungswürdig und läßt manchen Wunsch offen. Was liegt da näher, als sich selbst an die Verwirklichung seiner Ideen zu machen?
Ich selbst habe so begonnen, als Grafiker prädestiniert und als Fetischist hochmotiviert, meine eigenen Zeitschriften zu produzieren. Viele andere folgten. Nachdem es jahrzehntelang nur wenige, schwer auffindbare Titel gab, sind Fetisch-Publikationen heute in den meisten Ländern am Kiosk erhältlich. Wollte man mir noch 1985 weismachen, es gäbe in Deutschland maximal 2.000 Interessenten für ein Fetischblatt, so spricht die heutige Auflage von MARQUIS – mit 50.000 Exemplaren weltweit das meistverbreitete Fetischmagazin – eine deutlich andere Sprache.
Neben den „großen“, internationalen Magazinen wie Marquis, Skin Two, Secret und Ritual, die das gesamte Spektrum fetischistischer Spielarten abdecken, haben sich zahlreiche spezialisierte Hefte etabliert, die auch den ungewöhnlichsten Neigungen Rechnung tragen, in der Regel produziert von erklärten Liebhabern derselben. So gibt es „Equus Eroticus“ für Menschen, die ihre Partner gern anschirren und dressieren, „Footsy“, „Leg Show“ usw. für Fußfetischisten, die „Laufmasche“ für Strumpfliebhaber, „HeavyRubber“ und „Rubberist“ für extreme Gummi- und Maskenfreaks, „Baby Gum“ für erwachsene Säuglinge, und „Splosh“ für Fans erotischer Kleckereien. Manche dieser Hefte erreichen nur dreistellige Auflagen, werden von ihren Lesern aber um so inniger geliebt.
Da die Herstellung gedruckten Papiers teuer ist, und bei Kleinstauflagen schwerlich lohnt, wird das Internet zunehmend zur Informationsbörse. Hier gibt es vor allem in den Newsgroups nichts, was es nicht gibt – wobei der Anteil gesetzeswidriger Pornographie weitaus geringer ist, als manch öffentlicher Aufruhr vermuten läßt. Die meisten Netz-Aficinados sind akribische Bildersammler, die ihre Schätze zum Leidwesen der Urheber und Produzenten oft ungenehmigt veröffentlichen.
Fetischismus hat auch mit Kreativität zu tun – fantasievolle Menschen geben sich nicht mit dem „alten Rein-Raus-Spiel“ zufrieden. Der jährliche Leserwettbewerb von Marquis, an dem Hunderte von Fotografen, Autoren und Künstlern teilnehmen, demonstriert eindrucksvoll die hohe Qualität und Bandbreite fetischistischer Fantasie. Hier sind auch Frauen überdurchschnittlich vertreten, die ansonsten beim Konsum von Fetischliteratur eindeutig in der Minderzahl sind. Unsere Leserumfragen ergaben: 15% weibliche Leser, hoher Anteil an Akademikern, hohes durchschnittliches Einkommen, Mehrheit in der Altersgruppe 25-45 Jahre. Auffällig ist der Anteil an kreativen und selbständigen Berufen – Architekten, Fotografen, Werbegrafiker. Früher oder später beginnen viele mit der eigenen Umsetzung ihrer Fantasien, werden von Konsumenten zu Produzenten.
Seit Beginn des Fetisch-Booms Mitte der 80er Jahre, ausgehend von London, hat sich die Qualität der Produkte ständig gesteigert. Eindrucksvoller Beleg: die Kataloge der Fetisch-Designer. Mit großem Aufwand produziert halten sie jedem Vergleich mit großen Modefirmen stand, sind sogar nachweislich stilbildend. Die Auswahl an Kostümen aus Lack, Leder und Gummi, an hochhackigen Schuhen und Stiefeln, Korsetts und anderen Accessoires ist schier unerschöpflich. Die Ansprüche steigen mit dem Angebot.
Die Fetisch-Szene hat sich durch Groß-Events wie den Londoner „Rubber Ball“, zu dessen 3.000 Gästen auch Promis wie Gaultier und mancher Popstar gehören, oder der Amsterdamer „Europerve“ das weltweite Medieninteresse gesichert. Längst ist Hollywood auf die jungen Talente aufmerksam geworden, hat die ausdrucksstarke Fetischmode ihren Einzug in Kunst und Kultur gehalten. Nicht wenige Bands und Interpreten verkaufen sich unter dem hippen und avantgardistischen Fetisch-Label – siehe MTV und VIVA.
Heute gibt es auch in Deutschland große Fetisch-Events, wie die „Revolution“ in Nürnberg, die „Extravaganza“ in Hamburg, und sogar auf dem Bodensee. In fast allen Städten haben sich Interessengruppen gebildet, die ihrerseits Stammtische und Parties veranstalten. Niemand wird mit seinen Neigungen alleingelassen oder ausgegrenzt, wenn er es nicht will.
Hauptsächlicher Motor der Entwicklung aber war und ist die Fetischpresse. Marquis ist die Schaubühne einer internationalen Avantgarde von Designern und Fotografen, die ihre immer größere Fangemeinde ständig mit neuem Futter versorgen. Leider werden wir in Deutschland durch rückschrittliche Pornographiegesetze noch immer in den Sex-Shop verbannt, während Marquis und andere Fetischmagazine in anderen Ländern - sogar im angeblich so prüden England – am Kiosk erhältlich ist, und mancher Fernsehsender in Sachen Erotik bereits viel weiter geht. Bleibt zu hoffen, daß die Diskriminierung der Fetischszene auch auf diesem Gebiet bald der Vergangenheit angehört.